40 Jahre NÖ Kulturforum

Ewald Sacher

 

 Seit dem Jahr 1973 besteht das NÖ Kulturforum als Verein im Land NÖ.

Gegründet wurde es von einem engagierten Personenkreis mit der Absicht, im doppelten Sinne „aufzubrechen" – verkrustete Strukturen aufzubrechen und aufzubrechen in Richtung einer Neuorientierung der Kulturpolitik in NÖ, die Mitte der 1970er-Jahre wahrlich einen Neuanfang brauchte.

Ich persönlich bin damals als junger Lehrer und Sozialdemokrat zur Kulturarbeit gestoßen, weil mich einige jener Persönlichkeiten animiert haben, mich mit Kunst, Kultur und Bildung zu beschäftigen, die auch zu den Gründungspersönlichkeiten des NÖ Kulturforums gehörten.

Einer davon war mein politischer Mentor Dr. Kurt Preiß, damals Gymnasialprofessor in Krems und später Direktor des BRG Krems-Ringstraße, ab 1972 Vizebürgermeister der Stadt, später Nationalratsabgeordneter und Vorsitzender der SPÖ-Bezirksorganisation Krems, dem ich in all diesen politischen Ämtern auch nachfolgen durfte. Kurt Preiß war ein anerkannter Altphilologe, Philosphielehrer und auch geachteter Autor lokalhistorischer zeitgeschichtlicher Arbeiten und Bücher über die Arbeiterbewegung, die Stadt Krems und deren Geschichte im 20. Jahrhundert. Dr. Kurt Preiß hat sich auch sehr sozialpolitisch engagiert – er hat die Organisation der Volkshilfe groß ausgebaut – und auch Meilensteine in der Stadtentwicklung von Krems gesetzt. Ganz besonders setzte er sich für die Erhaltung historischer Bauten in Krems ein. Seinem Einsatz ist die Generalsanierung des Piaristengymnasiums, des BRG Ringstraße und der Ausbau der HTBLA Krems mit zu verdanken. Lange wies er auf die dringende Notwendigkeit der Sanierung des aus dem Mittelalter stammenden Stadtpalais des Gozzo, der sogenannten Gozzoburg, in Krems hin, die nach seiner Zeit endlich umgesetzt wurde, wobei großartige Fresken wiederentdeckt wurden, die ihresgleichen suchen.

Ein Weggefährte von Dr. Kurt Preiß war Prof. Dr. Franz Slawik, ursprünglich auch Lehrer am Bundesgymnasium Piaristengasse in Krems, danach Direktor des Gymnasiums in Schwechat und dann Direktor des Renner-Instituts der SPÖ im Schloss Altmannsdorf in Wien.

Franz Slawik hat mich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Bildungsorganisation der SPÖ NÖ in den Landes- und auch Bundesbildungsausschuss berufen. Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig Kulturarbeit an der Basis und Basisbildung für politische Funktionäre im Bezirk und im Land ist. Zu dieser Zeit war übrigens Dr. Ewald Nowotny, heute Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, als Bundesbildungsvorsitzender der SPÖ tätig.

Franz Slawik stieg dann auch in die Landespolitik ein, wo das Kulturresort, das damals Leopold Grünzweig als Landesrat führte, sein großes Ziel war – allein durch den Wahlausgang fiel dieses an die ÖVP, wo es bis heute beheimatet ist. Dass Franz Slawik damals ausgerechnet das Kanalresort in der Landesregierung übertragen erhielt, muss für ihn eine Demütigung gewesen sein, denn bald danach tauschte er seine Regierungsfunktion mit Josef Mohnl, von dem er den Klubobmann des SPÖ-Landtagsklubs übernahm.

Als Direktor des Renner-Institutes gehörte er zu den führenden Denkern, Bildungs- und Weiterbildungsexperten der Sozialdemokratie in der Ära Kreisky.

Leider ist Franz Slawik viel zu früh an einem Krebsleiden verstorben.

Die Gründung des NÖ Kulturforums ist ihm mit zu verdanken.

Leopold Grünzweig – der sozialdemokratische Kulturpolitiker im NÖ der Siebziger- und Achtzigerjahre – stammte aus Sieghartskirchen im Bezirk Tulln. Als Lehrer begann seine politische Karriere im SLÖ, dem Sozialdemokratischen Lehrerverein. Leopold Grünzweig war es, der den Anstoß gab, mit der Gründung einer linken Kulturplattform, wie sie das NÖ Kulturforum ist, Bewegung in das bis dahin mehr als nur am Rand der Landespolitik liegende Kulturwesen zu bringen. Er war der Initiator der ersten großen Landesausstellungen, die heute im Zweijahresrhythmus an verschiedenen Orten des Landes abgehalten werden und zur Belebung der Regionen im weitesten Sinne beitragen.

Persönlich erinnere ich mich an die große Erfahrung und Umsicht, mit der Leopold Grünzweig uns Jungen zur Seite stand, ob das nun im Schulwesen, in der Kulturarbeit oder auch in den Niederungen der Lokalpolitik war. Nach dem plötzlichen Herztod des legendären Hans Czettel musste Leopold Grünzweig die Funktion des Landeshauptmannstellvertreters übernehmen, was zugleich aber auch den Abschied von der geliebten Kulturpolitik bedeutete. In der Landespolitik war er dann leider nicht so erfolgreich, er musste angesichts eines von Skandalen geprägten Schmutzwahlkampfes eine bittere Niederlage verantworten, ohne es zu wollen, worauf ihm der junge Ernst Höger an der Spitze der Sozialdemokratie in NÖ folgte.

Dass es seit 40 Jahren das NÖ Kulturforum gibt, ist zu einem guten Teil Leopold Grünzweig zu danken.

Ich könnte jetzt noch meine Erinnerungen an einige der Gründerpersönlichkeiten des NÖ Kulturforums – vor allem an den unermüdlichen Kurt Fuss aus Ternitz – wachrufen. Kurt Fuss war ein genialer Organisator, er stampfte Veranstaltungen aus dem Boden, er entwickelte Konzepte, er organisierte Bildungs- und Kulturkonferenzen, er plante Ausstellungen, und vor allem legte er eine Sammlung von Werken niederösterreichischer Künstlerinnen und Künstler an, die heute immer wieder in verschiedenen Orten des Landes gezeigt werden können.

Der Einzige, der von den Gründern noch lebt, und das mit voller Kraft und ungebrochener Kreativität, ist Prof. Gotthard Fellerer. Ich sage immer, „mein künstlerischer Motor" im NÖ Kulturforum. Der Wr. Neustädter Gotthard Fellerer ist ein ungemein vielseitiger Künstler.

Musiker, Maler, Literat, Philosoph, Herausgeber, Organisator – und vieles mehr kann man ihm, dem unermüdlich gegen die Angepasstheit Kämpfenden zuordnen.

Begründer von Initiativen ist er – z. B. des Kunstvereins Südost, Herausgeber des satirischen Kunstblattls (wie er selbst es nennt) „BravDa", Gründer des Phantastenmuseums im Palais Palffy in Wien, ideensprudelnder Kulturvermittler – „Guckkastenmuseum", „NÖ Kunstproviant" sind nur einige Stichwörter zu Projekten, die er mit dem Kulturforum umsetzt.

Ihm sind Schulpartnerschaften zu verdanken, er schaut über die Grenzen und knüpft Kontakte mit anderen Bundesländern – z. B. Kunstraum Leoben – und mit anderen Staaten, wozu mir das Projekt grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit Künstlern aus dem Kosovo einfällt.

Gotthard Fellerer hat die Idee des Kulturforums mit geschaffen, und er lebt sie bis heute.

Den Zielen der Gründer fühlt sich das NÖ Kulturforum nach wie vor unbeirrt verpflichtet:

Wir wollen idealistische Ideenbringer sein.

Wir sind Förderer und verstehen uns als Kulturvermittler.

Nicht Angepasstheit, sondern kritisches Kulturengagement kennzeichnet unser Tun.

Wir bemühen uns, vor allem die Jugend anzusprechen: Mit Schulpartnerschaften und Materialien für die Kunsterziehung in den Schulen, die wir zur Verfügung stellen, bauen wir Brücken von der Kunst zur Jugend und umgekehrt.

Ein Auftrag ist uns die Förderung der Jugendkulturszene in den Städten und Gemeinden Niederösterreichs, wie Projekte in Wr. Neustadt („Triebwerk") oder Traisen („Kunstraum") beweisen.

Ebenso arbeiten wir mit kulturengagierten Seniorinnen und Senioren, wie z. B. im Pensionistenverband, bei Ausstellungen und anderen Aktivitäten zusammen.

Wenn offizielle Kulturpolitik naturgemäß das Ergebnis eines politischen Auftrags ist, so ist unsere Arbeit geprägt von ganzheitlich individuellem, persönlichem Einsatz. Deshalb verzichten wir auch auf einen aufwändigen Apparat – den wir uns auch nicht leisten könnten – und agieren deshalb prompt und unmittelbar.

Unser Erfolg liegt in der dezentralen Kulturarbeit, in der Förderung lokaler Initiativen, in der Unterstützung regionaler Künstlerinnen und Künstler, in der Vermittlung kultureller und künstlerischer Werte an die Basis.

Wir haben Visionen, wie eine gute Zukunft aussehen sollte. Deshalb haben wir auch gerne die Einladung angenommen, das Kulturprogramm der NÖ Sozialdemokraten zu entwickeln.

Wir haben Phantasie, setzen innovatorische Impulse und wollen mit unserem Tun junge Menschen und Junggebliebene mit der Vorstellung erreichen, dass alles, was lebt, auch pulsiert, auf Bestehendem aufbaut und sich verändern darf.

Aus diesem Grund fördern wir kulturelle Initiativen unterschiedlichster Altersgruppen (z. B. Jugendmusikevents Wieselburg, Schulpartnerschaften), dokumentieren kulturelle Besonderheiten – Stichwort Katalog „Weinviertler Künstler", CD-Produktion „Weinviertler Elegien";

die Serie von CD-Produktion zum Thema alte und neue Arbeiterlieder („Morgenrot", „Weil auch du ein Arbeiter bist", „Freiheit, die WIR meinen", „Worksongs" usw.).

Wir wollen auch jene gewinnen, die bislang abseits gestanden sind, wir wenden uns an jene Kulturinteressierten des Landes, die noch keinen Zugang zu Kunst und Kultur fanden.

Wir nehmen uns kritischer aktueller Themen der Zeit an – hier nenne ich die großartigen Fotoausstellungen, die wir als Wanderausstellungen konzipiert und mit Katalogen ergänzt haben:

„Denkmal statt Arbeit – ehemalige Industriebauten in NÖ"

„Roma in Mitteleuropa – Integration oder Ausgrenzung",

„Frauenalltag" und zuletzt „Bahnnostalgie – eingestellte Nebenbahnen in NÖ".

Somit verbinden wir das Künstlerische mit der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Zeitthemen.

Erfolgreiche Kooperationen, wie jene mit dem Österreichischen Kulturinstitut im Palais Palffy in Wien, dem Karl-Renner-Museum in Gloggnitz oder den Kulturämtern großer Städte schaffen eine größere Breite, z. B. mit der Stadt St. Pölten (Ausstellung „Gott und Kaiser – 100 Jahre Synagoge St. Pölten"), mit Wr. Neustadt (Ausstellungen in der Galerie im Rathaus bzw. im Industrieviertelmuseum) oder mit dem Arbeitskreis Arbeiterkultur Krems, einem unermüdlichen Träger von Kultur- und Integrationsprojekten in der Wachaustadt.

Diesen unseren Auftrag verfolgen wir auch und gerade zu einer Zeit, in der allzu oft Finanz- und Wirtschaftsprobleme als Hinderungsgründe für eine Kulturförderung vorgeschoben werden und Kunst und Kultur als nebensächlich abqualifiziert wird.

Seit rund 10 Jahren darf ich nun schon an der Spitze des NÖ Kulturforums stehen.

Mein Einstieg als Vorstandsmitglied erfolgte noch unter der Obmannschaft von Angelika Bäumer. Ihr folgten jeweils sozialdemokratische Landtagsabgeordnete als Vorsitzende, so Helmut Cerwenka, Josef Jahrmann und Dr. Siegfried Nasko.

Nachdem Siegfried Nasko nach großem kulturpolitischen Einsatz auf Stadtebene (St. Pölten) und Landesebene aus persönlichen Gründen für uns alle überraschend seine Funktion zurücklegte, habe ich mich als damaliger Kultursprecher im NÖ Landtag verpflichtet gefühlt, das Ruder im NÖ Kulturforum in die Hand zu nehmen und es vor einem möglichen Auslaufen zu bewahren. Hätten mich nicht einige tatkräftige Persönlichkeiten aus den Regionen Niederösterreichs dabei unterstützt, wäre dies wohl auch passiert.

Zu diesen Wegbegleitern zähle ich natürlich zuvorderst Gotthard Fellerer aus Wr. Neustadt.

Dazu gehören die St. Pöltner Mag. Thomas Pulle (Obmannstellvertreter), Mag. Thomas Lösch, Dr. Thomas Karl (Schriftführer) und Elisabeth Schwarzinger (Kassierin). Aus der Stadt Krems gehören Hofrat Dr. Hans Angerer und Mag. Klaus Bergmaier zu diesem Kreis, ebenso Vorstandsmitglieder aus den nö. Regionen, zu nennen etwa Alfred Zach aus Schwechat, Dr. Michael Rosecker aus Wr. Neustadt , NR Vbgm. Ulrike Königsberger-Ludwig, Kulturreferentin in Amstetten, oder die EU-Abgeordnete Karin Kadenbach aus dem Bezirk Korneuburg.

Ein kurzer Blick in die Zukunft sagt uns, dass weiterhin viel zu tun bleibt.

Beispielhaft gehe ich auf das aktuelle Projekt „Lerchenfeld wie es wirklich ist" ein, eine Auftragsarbeit, die sich mit jenem Kremser Stadtteil beschäftigt, der vor 75 Jahren in der Nazi-Ära anlässlich des Aufbaus der heutigen voestalpine Krems als Arbeitersiedlung gegründet und fast ausschließlich mit Arbeiter- und Angestelltenfamilien –„ Migranten" - aus der Steiermark - besiedelt wurde; der jahrzehntelang durch großes kulturelles Engagement und Bildungsbewusstsein der Arbeiterschaft herausstach; der heute der Stadtteil mit dem größten Migrantenanteil von Krems ist; der sich jetzt mit einer multi-ethnischen und multi-religiösen Prägung völlig anders darstellt als noch vor einigen Jahrzehnten; und der durch einen polizeilichen Todesschuss auf einen jugendlichen Supermarkteinbrecher zu Unrecht in die negativen Schlagzeilen der Sensationsmedien geriet. Ein Stadtteil, in dem es eine Koloman-Wallisch-Straße samt von den Sozialdemokraten errichtetem Gedenkstein genauso gibt wie eine rumänische Baptistenkirche, eine überdimensionierte römisch-katholische Pfarrkirche genauso wie ein vom Arbeiterheim zum KS/Kultur-Sozial-Zentrum mutiertes Volksheim gibt. Ein Stadtteil, der den Wandel von der Grundstoff- zur High-Tech-Industrie vollzogen hat, der mit seiner hohen Wohnqualität einerseits und seinen schwelenden Integrationsproblemen andererseits von sich reden macht – ein Phänomen, dessen sich das NÖ Kulturforum mit einem Foto- und Diskussionsprojekt beispielhaft auch für andere soziologische Entwicklungen im Lande annimmt.

Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Arbeit des NÖ Kulturforums nur möglich ist, weil dieses einerseits von der Kulturabteilung der NÖ Landesregierung Jahr für Jahr zuverlässig dotiert und gefördert wird, andererseits von einigen wenigen Unermüdlichen in ungezählten und unbezahlten Stunden ihrer Freizeit getragen wird.

Dafür möchte ich als Obmann meinen Dank sagen. Ebenso danke ich all jenen Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern, die sich für unsere Arbeit interessieren, unsere Projekte verfolgen und unsere Ausstellungen und Veranstaltungen besuchen, die mit ihrem Interesse und ihrer Teilnahme dazu beitragen, Kultur zu vermitteln – „Kultur vor der Haustür", wie unser Motto so treffend sagt.

Prof. Ewald Sacher, Obmann des NÖ Kulturforums